Ich habe es schon wieder getan. Was? Ich habe erneut ein Werk von Junji Ito gelesen, obwohl ich seine Geschichten wegen der bildlichen Darstellung oft als verstörend empfinde. Die Frage ist, ob auch dieses Werk mit dem Titel „No Longer Human - Der entfremdete Mensch“ (人間失格) von CARLSEN in diese Kategorie fällt.
Worum es in „No Longer Human - Der entfremdete Mensch“ geht:
Oba ist der jüngste Sohn einer angesehenen Familie. Sein Vater hat einen Sitz im Unterhaus. Wie es oft in wohlhabenden Familien der Fall ist, wird das jüngste Kind ständig mit den anderen verglichen. Entsprechend niedrig ist Obas Selbstbewusstsein.
Für Oba beginnt das Leben schwer. Er weiß nicht, wie er den Ansprüchen seines Vaters oder anderer Menschen gerecht werden soll. Um seine Unsicherheit zu überspielen, wird er zum Pausenclown, ähnlich wie hochintelligente Menschen, die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Er entdeckt, dass andere herzhaft lachen, wenn er sich zum Affen macht. Da ihm das gefällt, bleibt er dabei.
Der Mensch ist für Oba ein Mysterium. Alles, was er erlebt, bestätigt ihn in seiner Wahrnehmung. So erfährt er in jungen Jahren, wie es ist, wenn Erwachsene sich an ihm vergehen. Er denkt, das müsse so sein. Nichts in den folgenden Jahren korrigiert diese Wahrnehmung.
Als er etwas älter ist, bricht er sich das Bein bei einer waghalsigen Aktion. Er hat einen Kinofilm gesehen, in dem jemand die Wand hochklettert und an einer Uhr hängt. Oba versucht das nachzumachen und stürzt dabei ab. Im Krankenhaus kümmern sich zwei Frauen um ihn, die er schon lange kennt. Während sie ihn umsorgen, entwickeln sich Gefühle. Oba möchte wieder einmal gefallen und sagt beiden, dass er sie liebt. Dies hat auch erotische Konsequenzen. Beide Frauen werden von ihm schwanger, was zu Eifersucht führt. Eine der Frauen tötet daraufhin die andere.
In den folgenden Jahren glaubt Obas Vater, dass sein Sohn studiert. In Wahrheit lernt Oba das Leben kennen. Er besucht Bordelle, lernt Marxisten kennen, und sein Leben verläuft ganz anders, als sein Vater es vorgesehen hat.
Und so geht das Leben weiter, bis es schließlich …
Einschätzung:
Na, schau mal einer an, Junji Ito kann auch normale Geschichten schreiben. Diese hier ist eine grafische Interpretation des autobiografischen Romans „Gezeichnet“ von Osamu Dazai. Als ich das las, war ich skeptisch. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dabei etwas Gutes herauskommt. Ich bin lange um das Rezensionsexemplar herumgeschlichen, weil ich es nicht lesen wollte. Aber dann überkam mich doch die Lust, und ich muss sagen, es hat sich tatsächlich gelohnt.
Ich empfinde es als sehr interessant, dass sich diese Geschichte durch das ganze Leben von Oba zieht. Das war mir am Anfang gar nicht bewusst. Um mich vor den schrägen Zeichnungen zu schützen, habe ich die Inhaltsangabe aufgeschlagen und gedacht, ich lese einfach mal die Geschichten, deren Titel mich am meisten anspricht. Doch dann stellte ich fest, dass sie zum einen spannend geschrieben und umgesetzt sind und dass sie zusammengehören, was in den anderen Büchern zuvor nicht der Fall war. So fing ich dann doch am Anfang an und stellte fest, dass dies notwendig war. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass es möglich ist, die einzelnen Kapitel nicht chronologisch zu lesen. Sie sind so gut umgesetzt, dass man sie auch eigenständig lesen kann, ohne das Verständnis für den Zusammenhang zu verlieren.
Auch wenn ich mich wiederhole, und obwohl ich andere Werke von Junji Ito nicht so toll fand, dieses hier ist wirklich gut. Es ist so gut, dass ich es einfach weiterlesen wollte. Natürlich konnte Junji Ito nicht ganz auf seine schrägen Zeichnungen verzichten. Das eine oder andere Panel driftet dann doch wieder in die skurrile Richtung ab, passt aber aus unerklärlichen Gründen zu dieser Interpretation.
Was richtig gut umgesetzt wurde, sind die erotischen Panels. Anders als in anderen Werken, in denen es oft um rohe Sexualität geht, sind diese Szenen hier gefühlvoll und lustvoll dargestellt, was der Tatsache geschuldet ist, dass das weibliche Geschlecht auf Oba abfährt. Es gibt eben Menschen, die andere Menschen so sehr anziehen, dass man mit ihnen intim sein möchte. Und genau das meine ich damit.
Fazit:
Wenn ihr schon öfter eure Nase in Werke von Junji Ito gesteckt und euch gefragt habt, ob er auch normale Geschichten zeichnen kann, dann schaut euch „No Longer Human - Der entfremdete Mensch“ näher an. Diese Geschichte beweist, dass er dazu in der Lage ist. Obendrein werdet ihr noch gut unterhalten. Auch wenn dieses Werk 32 € kostet, sind die 624 Seiten es wert.
Wenn ihr dieses Werk gelesen habt, teilt mir doch eure Meinung mit. Ich möchte gerne wissen, wie ihr darüber denkt und wie euch dieses Werk gefallen hat.
Hier gelangt ihr zur Leseprobe von „No Longer Human - Der Entfremdete Mensch“. Quelle: CARLSEN
Wir möchten uns auf diesem Wege herzlich beim Verlag/Publisher für das Rezensionsexemplar und Bildmaterial bedanken.
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