Schaut man sich in Deutschland bei „Graphic Novels“ um, so stolpert man unweigerlich über den Ausnahmekünstler „Jiro Taniguchi“. Seine Werke sind legendär. Man fragt sich unweigerlich, ob es auch andere vielversprechende Künstler gibt. Natürlich gibt es noch andere ernst zu nehmende Künstler in diesem Bereich - dazu zählt „Yoshihiro Tatsumi“. Wir haben es „CARLSEN“ zu verdanken, dass seine epochale Autobiografie „Gegen den Strom“ (im Original Gekiga Hyôryû), mit der er sich als Zeichner selbst ein Denkmal setzte, den Weg in unsere Bücherregale gefunden hat. Grund genug, einen Blick in diesen 845 Seiten umfassenden Wälzer zu werfen.
„Yoshihiro Tatsumi“, der 1935 geboren und 2015 gestorben ist, zeichnete sein Leben lang. Ja, man kann sogar im Internet Behauptungen finden, dass er die längste Zeichnerkarriere überhaupt hatte. Respekt! Schon in jungen Jahren setzte er sich für stilistische Experimente und ältere Lesergruppen ein und prägte bereits 1957 einen Begriff, der in die Comicgeschichte einging: Gekiga („dramatische Bilder“).
Für „Gegen den Strom“ hat „Yoshihiro Tatsumi“ seine Kindheit, seine Jugend und die ersten Jahre des Erwachsenseins akribisch rekonstruiert. Somit ist dieses Werk nicht nur eine Autobiografie, sondern auch ein wenig ein Geschichtsbuch, da man viel Wissenswertes über die Nachkriegsjahre und die darauffolgenden Jahrzehnte erfährt. Hauptsächlich konzentriert sich die Erzählung dabei auf die Jahre 1945 bis 1960.
Worum es in „Gegen den Strom“ geht:
Die Geschichte beginnt am 14.08.1945. Hiroshi, der Protagonist dieser Story, ist zehn Jahre alt. Geschichtliche Ereignisse überschlagen sich zu dieser Zeit. So verkündet Kaiser Hirohito in diesem Jahr im Radio das Ende des Krieges. Die lange Zeit des Leidens ist also vorbei. Endlich kehrt wieder Ruhe und Frieden in Japan ein. Die Zeit des Aufbaus beginnt, wenn auch vorerst nur in den größeren Städten. Mit Sicherheit ein langes, beschwerliches Unterfangen. Doch das interessiert Hiroshi nicht im Geringsten. Ihn interessiert vielmehr die Jagd nach neuen Mangas & Comics, wie zum Beispiel „Lost World“ von „Osamu Tezuka“, der sein großes Idol ist. Nicht nur er steht auf „Osamu Tezuka“, sondern auch sein älteren Bruder Okimasa, der an einer Rippenfellentzündung leidet.
In der Nachkriegszeit mangelt es an vielem. Damit die Fans von Mangas & Comics ihrem Hobby dennoch nachgehen können, kommen die Buchhändler den Fans entgegen. So kann man zum Beispiel im Buchladen für 5 Yen 3 Bände direkt vor Ort lesen, egal um welchen Autor es sich auch handelt. Natürlich zählen die Brüder zu den fleißigen Lesern, die sich immer wieder im nächsten Buchladen einfinden. Sie lesen nicht nur die Werke von „Osamu Tezuka“, sondern auch Autoren wie „Noboru Oshiro“, „Takashi Haga“, „Bontaro Shaka“ und andere mehr. Es gibt genug Material zum Verschlingen. Und so ist es kaum verwunderlich, dass sich die Brüder irgendwann selbst am Zeichnen von Mangas versuchen.
In dieser Zeit gibt es eine Zeitung mit dem Titel „Manga-Shonen“. Jeder angehende Künstler will in dieser Zeitung Erwähnung finden. Die besten Künstler werden sogar mit ihrer Geschichte abgelichtet. Dies kann man erreichen, indem man Postkarten mit einer Kurzgeschichte im Mangastil einschickt. Natürlich passt auf solch eine Postkarte nicht allzu viel rauf. Das heißt, die Geschichte muss in der Kürze optisch und inhaltlich überzeugen, was nicht so einfach ist. Dennoch versuchen sich viele angehende Künstler. Dazu gehören auch Hiroshi und Okimasa. Während Hiroshi es gerade mal schafft, dreimal lobend erwähnt zu werden, sieht das bei seinem Bruder ganz anders aus. Seine Geschichten werden gleich zweimal hintereinander im Magazin abgelichtet!
1949 werden eine Reihe von Mädchen- und Jungen-Magazinen gegründet/herausgegeben, die alle Postkarten-Mangas veröffentlichen. Hiroshi schickt seine Postkarten dorthin und hat endlich Erfolg! Seine Geschichten werden mehrmals in den Magazinen abgelichtet. Aber aus irgendeinem Grund will es ihm beim Magazin „Manga-Shonen“ nicht gelingen. Das ist ihm im Grunde aber auch egal, da er seit Wochen Zuschriften von Fans und anderen Zeichnern erhält. Mit fünf seiner Kollegen gründet er 1950 die „Arbeitsgemeinschaft Kinder Manga" (Komodo Manga Kenkyukai), kurz KMK. Noch im selben Jahr bringen sie den Dojinshi „Manga no Moyojo“ (zu Deutsch: Manga-Sterne) heraus.
Einige Zeit später steht ein fremder Mann vor Hiroshis Haus. Seine Mutter ist ganz verwirrt. Hat er etwas ausgefressen? Zum Glück ist dem nicht so, denn der Mann stellt sich als Reporter vor. Er ist gekommen, um Hiroshi zu einem Interview einzuladen. Ein Interview? Hiroshi kann es kaum fassen. Und als dieses dann auch noch zustande kommt, bietet man ihm an, in einem weiteren Interview mit seinem Idol „Osamu Tezuka“ zusammenzutreffen! Ein Traum wird wahr …
Hiroshis Stern steigt unaufhaltsam am Mangahimmel. Wenn ihm doch nur nicht seine künstlerischen Ambitionen und die Wirtschaftspolitik der verfeindeten Verlage im Wege stehen würden. Auch sein Bruder steht ihm im Weg, da er neidisch auf Hiroshi ist, was er ihm zeigt, indem er seine Original-Skripte zerreißt.
Einschätzung:
Wahnsinn …
„Gegen den Strom“ von „Yoshihiro Tatsumi“ ist wahrlich keine leichte Kost. Und damit meine ich nicht die 845 Seiten, sondern das geballte Wissen, die zeitgeschichtlichen Einblicke, Anekdoten aus seinem Privatleben und so weiter. Der Einblick in die Geschichte, den ich weiter oben verfasst habe, ist gerade mal der grobe Inhalt der ersten 60 Seiten. Die Informationen, die in dieses Projekt geflossen sind, sind schlichtweg Wahnsinn! Es ist kaum verwunderlich, dass die einen dieses Werk für eine klassische Manga-Geschichte halten, andere aber das Werk eher als eine Autobiografie eines späteren Manga-Meisters sehen. Ich finde, dass „Gegen den Strom“ beides ist. Welche Seite überwiegt, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich für meinen Teil finde dieses Werk gut ausbalanciert.
Hervorzuheben ist die Art und Weise, wie „Yoshihiro Tatsumi“ seine Geschichte erzählt. Er wirkt weder belehrend noch versucht er Missionsarbeit zu leisten, um den Leser von irgendetwas zu überzeugen. Stattdessen erzählt er einfach ruhig, was er denkt, wie alles war und was drumherum passierte, sodass der Leser sich selbst einen Reim auf die Geschehnisse machen kann.
Die Zeichnungen sind sehr einfach gehalten für eine Graphic Novel, was auch so gewollt ist. Viele von ihnen entstanden innerhalb kürzester Zeit. Sie reichen aber völlig aus, um die Geschichte gut zu tragen.
Fazit:
„Gegen den Strom“ ist ein Ausnahmewerk, nicht nur für Mangaleser! Ein genauerer Blick lohnt sich auf jeden Fall.
Hier geht es zur „Leseprobe zur von Gegen den Strom“!
Wir möchten uns auf diesem Wege herzlich beim Verlag für das Rezensionsexemplar und Bildmaterial bedanken.
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