Seit einiger Zeit lese und rezensiere ich für unsere Website „animeszene.de“ den Manga „Barfuß durch Hiroshima“, in dem „Keiji Nakazawa“ autobiografisch den Abwurf der Atombombe auf seine Heimatstadt und deren schreckliche Auswirkungen schildert. Nun liegt mir die 473 Seiten starke und ebenfalls bei „CARLSEN“ erschienene Graphic Novel „Die Bombe - 75 Jahre Hiroshima“ vor. Diese beleuchtet die andere Seite, nämlich die des „Manhattan Project“ und der Entwicklung der Atombombe.
Worum es in „Die Bombe“ geht:
Gleich zu Beginn werden wir mit einem wahnsinnig interessanten wie auch makaberen Stilmittel dieses Buches konfrontiert. Der Ich-Erzähler, welcher sich immer wieder während der Handlung zu Wort meldet, das Geschehene teils bissig kommentiert und immer wieder einen großen Stolz auf seine erbrachten „Leistungen“ zum Ausdruck bringt, ist das Uran selbst. Der Leser erfährt von seinem physikalischen Ursprung im Universum, der ersten Verwendung in der Glas-und Keramik-Herstellung, der Entdeckung der Radioaktivität und dem Ausblick, dass seine wahre Bestimmung uns erst noch offenbart werden wird.
Wir machen einen Orts-und Zeitsprung:
Im Jahr 1933 unterrichtet der deutsch-ungarische Physiker „Leo Szilard“ als Dozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Dem hochintelligenten und begabten Mann jüdischen Glaubens bleibt das stark veränderte politische Klima seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht verborgen. In der berechtigten Vorahnung, dass Deutschland einen 2. Weltkrieg forcieren möchte, verlässt er seine Heimat, siedelt nach England und schließlich in die USA über.
Als in den nächsten Jahren der Faschismus in Europa und Japan immer beängstigendere Ausmaße annimmt, kann und will Szilard nicht mehr tatenlos zusehen. Er kontaktiert seinen alten Mentor „Albert Einstein“ und erläutert ihm die These, dass Uran in Kombination mit Neutronen zu einer nuklearen Kettenreaktion werden kann, welche letztendlich den Bau einer auf Atom basierenden und wahrscheinlich sogar kriegsentscheidenden Bombe möglich macht. Um dieses Projekt schnellstmöglich und vor allem vor den Nationalsozialisten zu realisieren, setzt Einstein, dessen Kontakte bis in die höchsten Regierungskreise reichen, direkt einen Brief an US-Präsident „Franklin D. Roosevelt“ auf. Und ihr Anliegen ist von Erfolg gekrönt. Unter strengster Geheimhaltung wird im mexikanischen Los Alamos das „Manhattan Project“ zur Entwicklung der ersten nutzbaren Atombombe in Auftrag gegeben.
Neben Szilard gehören auch viele weitere renommierte Wissenschaftler wie etwa „Robert Oppenheimer“ zu den kreativen Köpfen dahinter.
Je näher sie ihrem Ziel kommen, desto klarer wird den Forschern, was für eine entsetzliche und gefährliche Waffe sie geschaffen haben. Im Sommer 1945 ist der Krieg schon praktisch gewonnen, die Bombe maximal nur noch ein Beweis der amerikanischen Machtdemonstration. Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb soll sie über Japan abgeworfen werden. Szilard und sein Team versuchen alles, um dieses Unglück vielleicht doch noch zu verhindern. Wie wir leider wissen, war dieser Einsatz vergebens. Am 06. bzw. dem 09. August erfolgten die Atombombenabwürfe auf „Hiroshima“ und „Nagasaki“. Hunderttausende Menschen starben durch die Explosion und an den Folgen der radioaktiven Strahlung. Die große Mehrheit davon waren Zivilisten.
Zur Versinnbildlichung der damaligen japanischen Bevölkerung wurde die fiktive Familie Morimoto in die Handlung eingebaut. Durch ihre Augen sehen wir zwischendurch immer wieder, wer die eigentlichen Leidtragenden im Spiel der Mächtigen und ihres Krieges waren.
Einschätzung
Es treten eine Vielzahl historischer Persönlichkeiten auf, deren Motive und Handlungen authentisch dargestellt werden. Die Komplexität und Genauigkeit, mit der das europäische Autorenteam um den Belgier Didier Alcante hier zu Werke ging, hat mich tief beeindruckt. Die jahrelange Recherchearbeit für „Die Bombe“ ist regelrecht spürbar. Hier wurde ein ebenso trauriges wie wichtiges Kapitel unserer Geschichte ganz stark, fesselnd und eindringlich zu Papier gebracht, was mich trotz‘ seines enormen Umfangs nicht eine Sekunde losgelassen hat. Physikalische Vorgänge werden zudem gut verständlich für Laien erklärt.
Für Alcante selbst war diese Graphic Novel übrigens, allein schon durch seinen engen Jugendfreund Kazuo Morimoto, eine echte Herzensangelegenheit. Durch diesen inspiriert und geprägt, konnte er umso besser alle Facetten der Katastrophe eindrucksvoll rüberbringen.
Eine davon umfasst wie gesagt auch die USA und ihren Entschluss, den sinnlosen nuklearen Angriff auf das de facto schon besiegte Reich der aufgehenden Sonne durchzuführen. Die Chance, gegenüber der stalinistischen Sowjetunion damit gleich eine Abschreckung betreiben zu können, überlagerte sämtliche moralischen und humanistischen Bedenken. Besonders verdeutlicht wird dies an der Figur des „Leslie R. Groves“, militärischer Leiter in Los Alamos und, wenn man ihn so bezeichnen will, vielleicht der Hauptantagonist der Story. Uns wird hier klar aufgezeigt, dass die wissenschaftlichen den militärischen Interessen immer mehr weichen mussten.
Wie oben bereits erwähnt, wird das Uran als Ich-Erzähler verwendet. Ein wirklich spezielles und vielleicht auch diskutables Stilmittel, was mir allerdings sehr gefallen hat. Es betrachtet sich hier als eine Art Gott oder einen Puppenspieler, der sämtliche Figuren wie Marionetten nach seinen Wünschen lenkt, bis schließlich sein „großer Auftritt“ gekommen ist.
Der Zeichenstil ist entsprechend der Autoren und der meisten auftretenden Charaktere westlich gehalten und wenn man sie mit echten Fotos vergleicht auch sehr nahe am Original. Da ist alles stimmig und es gibt nichts zu beanstanden.
Es sind einige heftige Szenen zu finden, die mich teilweise absolut fassungslos zurückließen. Natürlich müssen an dieser Stelle die Explosionen der Bomben erwähnt werden, aber genauso erschütternd waren für mich die unzähligen Menschenversuche im Rahmen des Manhattan Projects. Dunkelhäutigen Arbeitern und auch schwerkranken Patienten wurde in Los Alamos reihenweise und ohne ihr Wissen Plutonium injiziert und anschließend häufig die Hälfte der Zähne gezogen, um dadurch die radioaktive Wirkung auf den Menschen bestimmen zu können. Dabei wurden geheime Codenamen wie etwa HP= Human Product vergeben. Erst unter der Präsidentschaft „Bill Clintons“ erfolgte ein Eingeständnis und eine Entschuldigung hierfür gegenüber den Opfern und ihren Hinterbliebenen. Das wusste ich bisher nicht und es hat mich heftig schlucken lassen. Also auch auf diese Komponente muss man sich bei diesem Ausnahmewerk einlassen können.
Fazit:
„Die Bombe“ ist Geschichtsunterricht in Graphic Novel Form, wie er besser und authentischer nicht hätte umgesetzt werden können. Erschütternd und heute leider aktueller denn je.
Damals war es nur die USA, heute gibt es ganze neun Länder auf unserem Planeten, die über schwere Atomwaffen verfügen. Dieses Werk kann und soll nicht zuletzt auch als Weckruf für unsere heutige Gesellschaft verstanden werden, endlich eine Zeit der weltweiten Abrüstung und der Friedenspolitik einzuleiten, damit sich die Geschichte nicht wiederholt.
Die Zukunft wird zeigen, ob der Mensch verstanden hat oder ob wir es doch noch schaffen unsere wunderbare Welt, die vielleicht die einzige ihrer Art im Universum ist, zu vernichten. Hoffen wir das Beste, denn sollten wir es nicht schaffen, wird wohl niemand da sein, der um uns weint.
Hier geht es zur „Leseprobe zur von Die Bombe - 75 Jahre Hiroshima“!
Wir möchten uns auf diesem Wege herzlich beim Verlag für das Rezensionsexemplar und Bildmaterial bedanken.
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