Barfuß durch Hiroshima - Kampf ums Überleben » Review

Meine Review zum zweiten Band von "Barfuß durch Hiroshima" datiert vom April des vergangenen Jahres - ist doch schon eine Weile her. Nun konnte ich mich endlich Band 3 "Kampf ums Überleben" widmen. Wie die anderen Mangas der Reihe wurde auch dieser Band von „CARLSEN“ veröffentlicht.


Worum es bei "Barfuß durch Hiroshima - Kampf ums Überleben" geht:


Der Titel könnte nicht passender gewählt sein, denn jeder Tag der Familie Nakaoka, die schon so viel Leid ertragen musste, hält die Angst und die Ungewissheit bereit, ob man am Abend mit einem vollen Magen und einem Dach über dem Kopf ins Bett gehen kann, geschweige denn, überhaupt in einem solchen zu schlafen. Gen ist zwar noch recht klein, aber er will und muss trotzdem alles dafür geben, für seine abgemagerte und geschwächte Mutter und die kleine, neugeborene Schwester zu sorgen.


Menschen wie sie, die den Atombombenabwurf auf Hiroshima überlebt haben, suchen in der umliegenden Provinz Zuflucht, die ihnen aber leider viel zu selten gewährt wird. Nach mir die Sintflut ist die Devise und wer nicht gerade Reis oder Geld als Gegenleistung anbieten kann, erhält nicht mal in akuter Not eine ärztliche Behandlung.


Gen möchte einfach nur irgendeine Arbeit bekommen, um seine Lieben ernähren zu können. Er trifft nach einiger Zeit auf den wohlhabenden Eizo Yoshida, der ihn anwirbt und die unglaubliche Summe von 3 Yen pro Tag (nach heutigem Kurs 3000 Yen) zu zahlen bereit ist. Welche Aufgabe er wohl für diese fürstliche Entlohnung übernehmen soll? Als es ihm offenbart wird, stockt dem Jungen regelrecht der Atem: Seiji, der Bruder des Hausherren, ist infolge der Bombendetonation am ganzen Körper schrecklich verbrannt und entstellt. Die Familie behandelt ihn wie einen Aussätzigen, wie ein Monster, und erliegt dem weit verbreiteten Irrglauben, man könnte von der Bombe angesteckt werden. Selbst den beiden Kindern wird eingeimpft, sich dem eigentlich früher stets beliebten Onkel nicht mehr zu nähern, der nach dem Vorfall verrückt, gefährlich und nicht mehr der Derselbe sein soll. Besonders seitens der Schwägerin schlägt Seiji offener Hass und Verachtung entgegen. Sie wünscht ihm sogar in Hörweite offen den Tod, damit sie von dieser Belastung befreit und von den anderen Dorfbewohnern nicht mehr als "Monster-Familie" bezeichnet werden.


Um mit dem eigenen Gewissen zumindest scheinheilig ins Reine zu kommen, soll Gen den Kranken pflegen und versorgen. Obwohl ihm dieser äußerst verbittert und undankbar begegnet, gibt er sein Bestes. Irgendwann kann er die Schikanen aber doch nicht mehr runterschlucken und sagt dem Patienten lautstark und direkt seine Meinung. Diese Ehrlichkeit beeindruckt Seiji nachhaltig. Er erzählt, dass er vor dem schlimmen Unglück ein geachteter und respektierter Bewohner dieses Hauses war. Alle schätzten ihn als Mensch und ebenso für sein herausragendes Talent als Maler. Nun schlägt ihm unverschuldet das komplette Gegenteil entgegen; die Entfremdung und Verachtung seitens der Verwandtschaft hat ihn regelrecht vergessen lassen, was Liebe und Mitgefühl ist, und nun Verbitterung und Frustration über sein Schicksal zu Tage gefördert.


Selbst malen kann der Künstler mit den Verletzungen an den Händen nicht mehr. Gen möchte Seiji neuen Lebenswillen geben und ermutigt ihn, stattdessen mit dem Mund neue Werke auf die Leinwand zu bringen. Im Laufe der Zeit entwickelt sich zwischen den beiden eine herzerwärmende Freundschaft.


Einschätzung


Die Grauen des menschlichen Seins sind vielfältig. Erlebten wir in den anderen Bänden bisher vor allem das Spiel der Mächtigen um Macht und Geld sowie die Indoktrination der Bevölkerung durch das faschistische Japan, liegt nun der Fokus Keiji Nakazwas auf Vorurteilen sowie fehlendem Mitgefühl und Solidarität im Umgang mit den Opfern von Hiroshima. Abstruse Unwahrheiten wie die angebliche Ansteckungsgefahr verbreiten sich rasend schnell und erinnern dabei nahezu 1:1 an fragwürdige und gefährliche Verschwörungstheoretiker, wie sie in der heutigen Zeit und Medienlandschaft leider allgegenwärtig sind.


Es ist wirklich heftig, mit welcher ungeschönten Härte dies hier abgebildet wird. Seiji siecht regelrecht dahin, seine Familie vernachlässigt ihn völlig, die Wunden sind übersät von Maden und er erhält kaum Verpflegung und Wasser. Der einstmals geliebte Mensch ist im Inneren immer noch derselbe, aber schon die äußere Veränderung und dessen jetzige Hilflosigkeit reichen völlig aus, um all dies vergessen zu lassen. Man ist kein Mensch mehr, sondern nur noch ein Monster, eine lästige Fliege, die jeder am liebsten sofort loswerden will. Doch ist der Entstellte hier wirklich das wahre Monster? Nein, es sind ganz klar die Yoshidas, welche in mir unfassbare Wut und Unverständnis hochsteigen lassen. Man würde selbst niemals auf die Idee kommen, eine nahestehende Person so erniedrigend und ignorant zu behandeln, wenn sie z.B. Verbrennungen bei einem Autounfall erleiden würde. Das ist in mehrfacher Hinsicht das Allerletzte, zumal dem Opfer so in einer eh schon aussichtslosen Lage noch ein weiterer Tritt verpasst wird.


Einmal mehr beeindruckt mich hier Gen, der für seine Familie aber auch für völlig Fremde beinah Übernatürliches leistet und dabei erst ganz zum Schluss an sich selbst denkt. Der arme Kerl hat soviel mehr zu tragen, als es für sein Alter angebracht und zumutbar wäre, erst recht im Kontext unserer heutigen Zeit, in welcher zumindest wir das Glück haben, nicht in einem Kriegsgebiet leben zu müssen.


Nie vergessen werde ich insbesondere die Szene, bei der es Seiji endgültig reicht, die Verachtung seiner Mitmenschen auszuhalten. Er sucht die Flucht nach vorn und lässt sich nackt auf einem Wagen durch das Dorf fahren, um auf die Auswirkungen der Atombombe aufmerksam zu machen. Ich fühlte mich sofort an den an Contergan erkrankten deutschen Regisseur Niko von Glasow erinnert, der in seinen Filmen und Dokumentationen ähnlich provokant die Folgen des Arzneimittelskandals ins Gedächtnis rufen möchte, u.a. auch mit Aktmodels, die an Contergan erkrankt sind. Provokant heißt in dem Fall ein absolut legitimes und wirkungsvolles Stilmittel um auf Missstände hinzuweisen. Für mich die emotionalste Passage in diesem Band.


Im weiteren Verlauf werden außerdem bekannte Charaktere erneut auftauchen, die zuletzt eher in den Hintergrund geraten sind. Um welche es sich konkret handelt, werde ich nicht verraten, aber es ist klar positiv zu erkennen, dass zum Finale hin viele Fäden miteinander verwoben werden und an einen Ort führen.


Fazit


Im vorletzten Band seines autobiografischen Plädoyers für Frieden und gegen den Krieg beleuchtet Nakazwa die Schattenseiten der Menschen im Umgang mit denen, die weniger Glück hatten und die die Leidtragenden des sinnlosen Tötens sind. Wie man es von ihm gewohnt ist geschieht dies unglaublich klug, facettenreich und emotional.


Unweigerlich muss ich dabei an ein passendes Filmzitat des weisen Jedimeisters Yoda denken:


"Einen großen Krieger du suchst?

Groß machen Kriege niemanden.“


Empfehlenswert ist auch der Anime.


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Quelle » YouTube «


Produktdetails
Titel Barfuß durch Hiroshima - Kampf ums Überleben
Genres Drama
Autor Keiji Nakazawa
Einband Taschenbuch
Altersempfehlung ab 14 Jahre
Seitenanzahl 272
Serie Barfuß durch Hiroshima
Sprache Deutsch
ISBN 978-3-551-77503-0
Verlag CARLSEN Verlag
Kaufmöglichkeiten - Direktlink amazon / Thalia / CARLSEN Verlag


Wir möchten uns auf diesem Wege herzlich beim Verlag für das Rezensionsexemplar und Bildmaterial bedanken.

Über den Autor

Hallo mein Name ist Frank und ich bin ein humanoides Wesen vom Planeten Erde.

Neben Animes und Mangas, fühle ich mich dem Punkrock sehr verbunden und gehöre dieser Szene seit 2008 an, zocke leidenschaftlich gern, bin Fußballfan des FC Energie Cottbus, FC Sankt Pauli und vom FC Bayern München.

Filmreihen wie Star Wars, Herr der Ringe, Blade Runner und Indiana Jones nehmen einen besonderen Platz in meinem Herzen ein.

Allgemein bin ich ein begeisterter Cineast. Von 1920er Stummfilmen bis heutiger Streifen interessiert und fasziniert mich eine breite Palette an unterschiedlichsten Genres.


Politisch engagiere ich mich z.B. für die Linke, die Partei, Campact, Amnesty International oder Sea Shepherd. Ich bin Flexitarier.

Frank Profi

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