No. 6 - Luxury Edition

Bereits in den Jahren 2003 bis 2011 veröffentlichte Atsuko Asano die dystopischen Sci-Fi Romane „No. 6“. Einige Zeit später entstand daraufhin in Zusammenarbeit mit Hinoki Kino eine 9 bändige Manga-Reihe, welche uns „EGMONT“ nun in einer schicken, broschierten Luxury Edition anbietet. Jede Ausgabe besteht dabei aus drei Bänden. Band eins liegt mir nun zur Einsicht vor. Ich bin gespannt.

Worum es bei „No. 6“ geht:

Nachdem die Menschheit sich in verheerenden Kriegen gegenseitig fast ausgelöscht hätte, beschlossen die Übergebliebenen, eine neue, gemeinsame Stadt des Friedens, Wohlstands und der Ordnung zu gründen. Getauft wurde diese auf den Namen „No. 6“. Alles an diesem futuristischen Ort ist sauber, die Kriminalitätsrate liegt bei null Prozent, sämtliche Eliten versammeln sich hier, vom Wissenschaftler bis zum Ingenieur wird in jedem Berufsfeld höchste Qualität und Expertise erwartet. Den Menschen fehlt es an nichts in dieser scheinbar so perfekten und idealisierten Lebensweise. Gleichzeitig ist No. 6 aber auch eine komplett abgeschirmte Festung, die vollständig von dicken Wänden und Mauern umgeben ist. Das Paradies will man schließlich nur ungern mit Anderen teilen, insbesondere nicht mit der weniger privilegierten Bevölkerung im direkt anliegenden Viertel des Westblocks.

Solche Probleme betreffen natürlich nicht den 12-jährigen Shion und die anderen hochbegabten Schüler in seiner Klasse. Bereits im Alter von 2 Jahren bekam er den Rang „höchste Intelligenz“ verliehen, dementsprechend steht ihm schon jetzt ein beeindruckender Werdegang bevor. An seiner Seite ist dabei stets die süße Safu, welche ihm als seine Sandkastenfreundin schon ein ums andere Mal aus einem Schlamassel geholfen hat.

Eines Abends gewährt Shion dem etwas älteren Jungen Nezumi unbemerkt von seiner Mutter Unterschlupf. Der mysteriöse Eindringling stand einfach plötzlich im offenen Fenster seines Zimmers, mit einer Schussverletzung und offensichtlich auf der Flucht vor jemandem. Er versorgt die Wunde des Unbekannten und lässt ihn in seinem Zimmer übernachten. Durch die Medien wird schnell klar, was es mit Nezumi auf sich hat: Er ist ein gesuchter Insasse der Besserungsanstalt im Weltblock. Ferner wurde ihm ein ortbarer Violence-Chip eingepflanzt. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis seine Verfolger ihn finden werden.

Am nächsten Morgen ist er unbemerkt verschwunden, doch frei von Konsequenzen bleibt das Handeln Shions dennoch nicht. Rashi, ein kühler Mitarbeiter des Ordnungsamtes, entzieht ihm und seiner Mutter nach dem erfolgtem Geständnis sämtliche Sonderbehandlungen. Wie er selbst sagt, war dies das erste Gefühl eines Rückschlags, in seinem bisherigen Leben gewesen.

4 Jahre später arbeitet der ehemalige Elite-Schüler im Verwaltungsbüro des städtischen Forstparks, während seine Mutter in die Selbstständigkeit gegangen ist und eine Bäckerei eröffnet hat. Das Luxus-Appartment im Bezirk Chronos mussten sie nach dem Vorfall leider räumen und leben seitdem in der Unterstadt Lost Town. Ob Shion seine Tat bereut? Nein! Er würde auch heute wieder genau so handeln.

Nezumi, dieser so sonderbare, aber gleichzeitig faszinierende Typ geht ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Was ist wohl aus ihm geworden? Bis heute verspürt er ihm gegenüber eine seltsame Anziehungskraft. Als dann auch noch Safu ihrerseits dem überforderten Teenager ihre Zuneigung gesteht, ist das Gefühlschaos perfekt. Neben den genannten Problemen der Pubertät keimen in ihm aber ebenso Fragen auf, ob No. 6 wirklich der Himmel auf Erden ist, als den es sich immer darstellt.

Die Ereignisse überschlagen sich, als im Forstpark zwei unerklärliche Todesfälle geschehen. Ohne jeden Beweis wird er als Mitarbeiter der Anlage sofort zum Hauptverdächtigen erklärt und findet sich wie schon damals im Würgegriff Rashis wieder. Aus dem Nichts taucht Nezumi auf, verhilft seinem früheren Retter zur Flucht, um sich angemessen zu revanchieren und quartiert ihn vorerst bei sich ein. Das Leben im Westblock unterscheidet sich rapide von seinem bisherigen und Shion steht am Anfang eines Scheideweges, der seine Sicht auf die Welt für immer verändern wird.

Einschätzung

Schon wenige Augenblicke, nachdem die beiden die an Slums erinnernde Umgebung betreten haben, werden wir durch die Augen des Protagonisten Zeuge der Unterschiede zwischen beiden Orten: Alles wirkt verwahrloster, rauer und dreckiger. Gewalt und Diebstahl auf den Straßen steht an der Tagesordnung, selbst Leichen in den Gassen sind hier so alltäglich, dass niemand, der Passanten mehr eine schockierte oder emotionale Reaktion darauf zeigt. Im Gegenteil, die Entsorgung der Verstorbenen wird sogar als willkommene Einnahmequelle ausdrücklich begrüßt.

Den meisten mangelt es an ausreichend Geld, um ihren Lebensaufenthalt bestreiten zu können. Jeder ist sich selbst der Nächste. So erscheint es auch nicht überraschend, eine Prostituierte zu erleben, die den Neuankömmling ohne Vorwarnung in eine ruhige Ecke zerrt und augenblicklich ungeniert verführen möchte. Es trägt nicht gerade zur Entspannung von Shion bei.

Dieser Kontrast spiegelt sich gleichfalls in den Unterschieden zwischen den beiden Jungs wider. Nezumi ist Realist, der für sein Alter schon sehr reif, genauer gesagt abgeklärt ist. Zwar offenbart er uns noch längst nicht alle seiner Geheimnisse, scheint aber auf der Straße schon eine Menge durchgemacht zu haben. Ihm wurde nie etwas geschenkt, alles musste er sich hart erarbeiten und immer mit einem offenen Auge schlafen.

Bei Shion sah das alles ganz anders aus. Das wohlbehütete „Muttersöhnchen“ (Zitat Nezumi), lebte ruhig, von sämtlichen Schattenseiten der menschlichen Existenz beschützt, vor sich hin.

No. 6 ist nicht die ideale Stadt, wie es der Bevölkerung durch gezielte Propaganda und Indoktrination immer eingetrichtert wurde. Einerseits schränkt sie durch das von Normen und Akkuratheit durchzogene Gesellschaftssystem die Freiheit ihrer Bürger ein, was Reiche, die dafür keine Bestrafung fürchten müssen, sogar regelmäßig dazu veranlasst, Ausflüge in den Westblock zu unternehmen. Gleichzeitig aber stellen arme Bewohner der Slums unablässig Anträge auf die freien Plätze in der Oberstadt, um ihrem traurigen Schicksal mehr oder weniger vielleicht doch noch entkommen zu können.

Ich schätze Geschichten, die mit kluger und aus der Realität gegriffenen Gesellschafts- und Sozialkritik zu punkten wissen. Eine große Stärke des Mangas.

Durch No. 6 habe ich ein Genre betreten, was für mich noch ziemliches Neuland ist: Boys-Love, genauer gesagt Shonen Ai. Die Liebesgeschichte zwischen Shion und Nezumi wirkt durchweg elegant geschrieben und glaubwürdig erzählt. Eher zarte Andeutungen und sympathische Sticheleien werden hier verwendet, um das wirklich süße Szenario sich langsam entwickeln zu lassen.

Wie die Leseempfehlung ab 14 vermuten lässt, finden sich bislang keine expliziten sexuellen Darstellungen, was aber ehrlich gesagt meinem persönlichen Geschmack auch nicht entsprechen würde. So gefällt mir die Geschichte viel besser.

Kritisch anmerken würde ich stand jetzt, die etwas fehlende Spannung und Action in einigen doch recht lang gezogenen und tempoarmen Sequenzen. Natürlich erwarte ich hier kein Actionfeuerwerk à la „Black Lagoon“ (ist auch ein ganz anderes Genre), aber selbst bei der Rettungsaktion nach der Verhaftung kam für meinen Geschmack nur wenig Dynamik und Spannung auf. Ich war negativ überrascht, nicht mal einen kurzen Kampf mit Rashi und seinen Leuten an dieser Stelle zu sehen.

In ihrer Gestaltung wusste mich die Luxury Edition voll zu überzeugen. Die Vorder- und Rückseite der Hülle sehen einfach nur klasse aus, des Weiteren finden sich unter den fast 500 Seiten auch einige wunderschöne farbige Illustrationen. Den Zeichenstil an sich würde ich als relativ klassisch und reif bezeichnen, wie man ihn sich bei dieser Art von Story eben vorstellt.

Fazit

Den zahlreichen Pro-Argumenten einer vielschichtigen Sci-Fi Dystopie mit interessanten Figuren sowie charmant erzählter Boys-Love, steht in negativer Hinsicht etwas fehlende Action und Spannung gegenüber.

Insgesamt hinterlässt „No. 6“ bei mir einen guten Eindruck, mit möglichem Steigerungspotenzial im weiteren Verlauf der Handlung. Große Vorfreude darauf wie es weitergeht habe ich definitiv.

Hier geht es zur „Leseprobe von: No. 6 - Luxury Edition“!

Quelle „EGMONT“

Wir möchten uns auf diesem Wege herzlich beim Verlag für das Rezensionsexemplar und Bildmaterial bedanken.