Graphic Novel​​​s​ von Jiro Taniguchi

Reviews über Graphic Novels zu schreiben, ist gar nicht so einfach. Nicht dass es an Worten fehlt, die Zeichnungen nichtssagend sind oder Graphic Novels keine Story tragen. Es geht vielmehr darum, dass Graphic Novels voller Poesie sind. Diese Poesie wird nur durch die Bilder getragen. Denn oftmals enthalten Graphic Novels wenig oder überhaupt keinen Text. Das heißt, die Story erzählt man sich im Grunde selbst, wenn man sich die Zeichnungen ansieht. Jeder sieht bei den gleichen Bildern etwas anderes. Also wie nun eine Review schreiben? Darüber habe ich lange nachgedacht. Letztendlich habe ich mich dazu entschlossen, mehrere Graphic Novels in einem Artikel zusammenzufassen. Um ein wenig den Zusammenhang zu wahren, habe ich Graphic Novels von Jiro Taniguchi gelesen/betrachtet, welche allesamt bei CARLSEN Manga erschienen sind.


Warum ausgerechnet Graphic Novels von Jiro Taniguchi?


Jiro Taniguchi, der 1947 in Tottori, Japan, geboren wurde, gilt heute weltweit als einer der (!) renommiertesten Mangazeichner. Er zeichnet nicht nur, sondern vermittelt auch Hintergrundwissen, wie er zum Beispiel in „Der Kartograph“ vortrefflich unter Beweis stellt. Seine Werke wurden deshalb oftmals ausgezeichnet und in diverse Sprachen übersetzt.


Durch seine Popularität sind viele Künstler an einer Zusammenarbeit mit ihm interessiert.


Worum es in „Der spazierende Mann“ geht:


Ein Ehepaar, dessen Name nicht weiter genannt wird, zieht in ein Haus. Sie freuen sich, dass sie ein schönes Haus gefunden haben. Zu dem Haus gehört ein kleines Geschenk, von dessen Existenz sie gar nichts wussten. Es handelt sich um einen Hund, den wohl die Vorbesitzer vergessen haben. Kurzerhand wird der Hund als Familienmitglied adoptiert. Sein Name lautet fortan Flocke.


Das Ehepaar ist regelmäßig mit Flocke unterwegs. Wie schön doch der Ort und die Natur ist. Hier möchten sie gerne in Frieden alt werden.


Wenn es die Zeit zulässt, ist der Ehemann allein unterwegs. Hier ein neuer Baum, da ein neuer Weg, es gibt viel zu entdecken. So lernt er eines Tages einen Ornithologen kennen, der gerade Vögel beobachtet. Sie kommen ins Gespräch. Vögel zu beobachten ist doch spannender als gedacht. Gleich am darauffolgenden Tag wird sich ein passendes Buch gekauft, um die Vogelwelt besser zu verstehen.


Wunderbar sind auch die Kinder. Sie sind so voller Energie und Tatendrang. Man benötigt kein Handy, keine Videospiele oder Ähnliches. Es tut auch ein Papierflieger, wenn er nicht gerade im Baum festhängt. Das ist natürlich kein Problem. Da die Kinder noch zu jung sind, klettert kurzerhand er in den Baum, während Flocke unten geduldig wartet. Das Flugzeug ist gerettet. Doch anders als vermutet, wird nicht gleich vom Baum geklettert. Vielmehr wird Platz genommen und die wunderbare Aussicht genossen. Wie schönes es doch sein kann …


Worum es in „Von der Natur des Menschen“ geht:


Das Ehepaar Harada ist dabei, aus der Großstadt in ihr neu erworbenes Haus zu ziehen. Dieses haben sie durch einen Zufall gefunden. Es gefiel ihnen sofort. Der ausschlaggebende Kaufgrund war der wunderschöne Garten vor dem Haus. Und nun, da sie einziehen, müssen sie feststellen, dass der Garten nicht mehr existiert, so als wäre er nie da gewesen. Stattdessen ziert jetzt ein gepflegter Rasen das Grundstück. Nur der alte Keyakibaum hat überlebt, was die Haradas ein wenig glücklich stimmt.


Da der Garten der Kaufgrund für das Anwesen war, entschließen sie sich kurzerhand, selbigen durch eine Gärtnerei wieder aufleben zu lassen. Mal abgesehen von den Kosten wird das Unterfangen ca. ein Jahr dauern. Na ja, es lässt sich jedoch mal nicht ändern.


In all den Monaten genießen sie den Keyakibaum und seine vielen Gesichter, welche durch die Jahreszeiten beeinflusst werden. So ist er im Frühjahr voller Blüten, im Sommer voller prächtiger Blätter und im Herbst … ja im Herbst … da fallen dann die bunten Blätter vom Baum. Und wie das nun mal so ist, weht der Wind die Blätter durch die Gegend. Das ruft die Nachbarn auf den Schirm. Sie werden bei den Haradas vorstellig und bitten um eine Lösung für das Laubproblem.


Herr Harada ist verärgert. Noch nie wurde er wegen etwas angezählt. Und dann das? Dabei wollten sie doch in Ruhe ihren Lebensabend genießen. Da bleibt wohl nur eine Lösung, der Baum muss weg. Ob das die richtige Lösung ist?


Worum es in „Der Kartograph“ geht:


Angelehnt an den japanischen Landvermesser und Kartograph Ino Tadataka, welcher als erster eine vollständige Karte von Japan anfertigte, indem er das Land zu Fuß vermaß, erzählt diese Geschichte in Auszügen, was er wohl erlebt haben könnte in der guten alten Edo-Zeit.


Heute ist ein schöner Tag. Auf dem Markt herrscht reges Treiben. Es wird frisches Gemüse angeboten, oder dürfen es vielleicht Bambussprösslinge aus Maguro sein? Im Grunde ist es auch egal, da unser Protagonist ohnehin nur die Kirschblüten im Blick hat, die er in der Ferne sieht. Diese stehen in Ueno und sehen aufgrund der Menge wie ein weißes Wolkenmeer aus.


Heute nun ziehen er und seine Frau mit einer Decke, Sake und reichlich Essen los. Zielsetzung? Ein schöner Platz unter einem Kirschbaum. Nachweislich stehen auch heute noch 1000 Kirschbäume in Ueno. Es sollte daher auch damals möglich gewesen sein, einen angemessenen Platz zu finden. Genau so denken auch viele andere Japaner. Demzufolge ist das Gedränge groß.


Es ist interessant, was alles bei den Kirschbäumen zu beobachten ist. So gibt es eine Gruppe schöner Mädchen, die sich herausgeputzt haben. Sie sollen ihren zukünftigen Männern vorgestellt oder vermittelt werden. Dann gibt es noch eine Menge Kinder, Männer, die zu tief ins Sakeglas geschaut haben u.s.w… kurzum, es ist viel los, entschieden zu viel. Und so entschließt man sich kurzerhand, ein wenig den Berg hinaufzusteigen. Eine fabelhafte Idee, wie sich herausstellt. Denn genau auf halber Höhe hat man einen wunderschönen Blick auf die Kirschblüten und (!) es findet sich doch tatsächlich ein Kirschbaum, der noch nicht belagert wird. Endlich ein Platz zum Essen, Träumen und Entspannen.


Worum es in „Vertraute Fremde“ geht:


Hiroshi Nakahara ist 48 Jahre alt und arbeitet ziemlich hart, um seiner Familie alle Wünsche erfüllen zu können. Selbst seine Frau beschwert sich schon. Sie bittet ihn, ein wenig kürzerzutreten und ein wenig mehr Zeit für seine Kinder aufzubringen, da diese ihn kaum noch zu Gesicht bekommen. Herr Nakahara ist einverstanden. Er verspricht seiner Frau, nach der folgenden Geschäftsreise ein wenig kürzerzutreten.


Am nächsten Tag ist Herr Nakahara auf dem Rückweg von seiner Geschäftsreise, welche in Kyoto stattfand. Am Bahnhof, der eigentlich sehr übersichtlich ist, verläuft er sich, um sich im nächsten Moment im falschen Zug wiederzufinden. Im falschen Zug? Wie kam Herr Nakahara hier her? Er wollte doch den Shinkansen nach Tokyo nehmen. In welchem Zug sitzt er eigentlich? Diese Frage klärt sich, als er die Bedienung im Zug fragt. Seine Reise geht mit dem Schnellzug namens Super Hakuto nach Kurayoshi, seiner Heimatstadt.


Herr Nakahara fährt nun im besagten Zug in seine Heimat, wo er seit vielen Jahren nicht mehr gewesen ist. Warum weiß er immer noch nicht, und aussteigen möchte er mehr oder weniger auch nicht. Was für ein merkwürdiger Zufall, dass er ausgerechnet in diesen Zug gestiegen ist. Erinnerungen werden wach. So z. B. dass seine Mutter vor 23 Jahren gestorben ist. Sie war genauso alt wie Herr Nakahara jetzt. Sie hatte sich wohl überarbeitet. War sie eigentlich glücklich?


Die Reise nach Kurayoshi dauert von Kyoto genau drei Stunden. Am Bahnhof angekommen schaut Herr Nakahara erst einmal nach, wann der Zug nach Tokyo geht, um festzustellen, wie lange er Zeit hat, vertraute Straße zu besuchen. Es bleiben ihm genau zwei Stunden. Also nichts wie los, gilt es doch einiges zu schaffen. Anders als erwartet macht es ihm keinen Spaß, durch die Straßen zu streifen. Und außerdem hat sich viel verändert. Stellt sich die Frage, warum er auf einmal vor dem Friedhof steht, auf dem seine Mutter beigesetzt wurde. War dies ein Zufall? Nun, wenn er schon mal da ist, dann kann er ihr auch guten Tag sagen.


Da steht er, am Grab seiner Mutter. Wie viele Jahre ist das wohl her, dass er am Grab stand? So genau weiß er das nicht. Wieder geht ihm die Frage durch den Kopf, ob seine Mutter wohl glücklich war. Sie hatte nie etwas gesagt. Auch dann nicht, als sein Vater das Weite suchte. Auf diese Frage wird er wohl nie eine Antwort bekommen. Oder vielleicht doch? Denn im nächsten Moment scheint sich etwas um Herrn Nakahara zu ändern. Er befindet sich auf einmal in der Vergangenheit, und zwar am 7. April 1963. Das kann doch nicht sein? Schließlich kann sich Herr Nakahara genau an alles erinnern. Also, was ist hier los? Diese Frage gilt es zu beantworten. Vielleicht findet er auch die Antwort auf seine Frage.


Einschätzung:


Jiro Taniguchi ist ein Genie, ein Poet, der es immer wieder schafft, den Moment in Bildern einzufangen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um ein Bild handelt oder um eine ganze Reihe von Bildern. Genau betrachtet, haben mich die Coverbilder der einzelnen Bücher dermaßen angesprochen, dass ich unbedingt hineinschauen wollte. Ich wurde nicht enttäuscht.


Wir alle leben in einer Welt, die so schnell geworden ist. Wir nehmen uns kaum noch Zeit für den Moment, für den Augenblick. Wann bleiben wir schon mal stehen und genießen einfach nur die Natur? Aktuell sieht draußen alles so bunt aus. Man kann kilometerweit ins Land schauen. Und auch wenn man Stunden auf der Stelle steht und ins Land schaut, man wird nicht alles erfassen können. So ähnlich ist es, wenn man sich eine Grafiknovelle von Jiro Taniguchi anschaut. Auf den ersten Blick denkt man, man hat alles erfasst. Schaut man dann genau hin, findet man immer etwas Neues.


Ich mag Bilder, die mit einem sprechen. Sie sind etwas Wunderbares. Egal, wie man sich auch mühen mag, man wird niemals in der Lage sein, einen Moment so zu beschreiben, wie es ein Bild vermag. Genau das hat Jiro Taniguchi erkannt. Genau das bietet er uns in seinen Graphic Novels.


Das wirklich Bemerkenswerte ist, dass er es schafft, die Bilder mit geschriebenen Informationen zu verfeinern. Man steigt durch diese Art der Erzählung als Betrachter/Leser sehr tief in die Erzählung ein. Sie wirken dadurch sehr emotional.


Fazit:


Jiro Taniguchi ist ein Meister seines Faches. Seine Bildergeschichten sind so voller Leben. Man kann förmlich die Kirschblüten riechen, die Sonne auf der Haut fühlen, die Vögel zwitschern hören oder den Wind auf den Gräsern erkennen, wenn sie so schön im Takt wippen.


Jeder, der ein wenig träumen möchte, sollte sich die Werke von Jiro Taniguchi genauer ansehen.


Produktdetails
Titel Der spazierende Mann, Von der Natur des Menschen, Der Kartograph, Vertraute Fremde
Genres Geschichten, die das Leben schreibt
Autor Jiro Taniguchi
Einband Softcover
Altersempfehlung ab 14 Jahren
Seitenanzahl 240, 224, 220, 416
Sprache Deutsch
ISBN 978-3-551-77884-0, 978-3-551-78976-1, 978-3-551-75102-7, 978-3-551-777-79-9
Verlag CARLSEN Verlag
Kaufmöglichkeiten amazon / Thalia / CARLSEN Verlag


Wir möchten uns auf diesem Wege herzlich beim Verlag für das Rezensionsexemplar und Bildmaterial bedanken.

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